Die wertvollste Krippe Frankfurts

Ein biblisches Ensemble mit Geheimnis
Die wertvollste Krippe Frankfurts findet sich in der St.Leonhardskirche
Sie gilt als älteste und wertvollste Krippe Frankfurts. Doch wie dieses kostbare Ensemble biblischer Figuren, das durch seine Detailfreude, dramatische Körpersprache und kostbare Kleidung jeden Betrachter sofort verzaubert, aus dem Neapel des 18. Jahrhunderts in die St.Leonhardskirche gelangte, bleibt ein Geheimnis, um das sich bis heute viele Legenden ranken. Seit Jahren schon werden die Figuren einzeln und sehr aufwändig restauriert. Jetzt ist zum ersten Mal ein Krippenführer erschienen, der die Bedeutung dieses Kunstschatzes en miniature aus historischer und theologischer Sic ht beleuchtet.
Frankfurt am Main (pia) Noch sitzt Maria brav am Spinnrad, noch ist nichts Majestätisches an ihr zu erkennen. Fast häuslich intim wirkt diese Szenerie. Töpfe, Krüge, sogar ein Frankfurter Bembel finden sich in der kargen Kemenate. Doch der Engel der Verkündigung naht bereits, um Maria die Botschaft zu überbringen, dass sie auserwählt sei unter allen Frauen, den Sohn Gottes zu gebären. Peter-Rudolf Frank, Krippenkenner seit Jahrzehnten und „aus Leidenschaft“, wie er sagt, inszeniert die Weihnachtsgeschichte als Drama in mehreren Akten. Deshalb ist die große Vitrine in der St.Leonhardskirche, in der Frank und seine Helfer alle Jahre wieder die Krippe aufbauen, zurzeit noch eher sparsam besetzt. Doch das wird sich bald ände rn. So folgt auf die Verkündigung die verzweifelte Herbergssuche von Joseph und Maria und schließlich, am 24. Dezember, die Geburt Jesu Christi in Bethlehem. Dann, erst dann, wird auch das Kind-lein selbst zu sehen sein, wie es nackt auf weißem Tuch in den Armen seiner Mutter liegt.
Der Säugling blickt zum Himmel
Ein ernstes Kind ist dieser Frankfurter Jesus, auch wenn seine Bäckchen aus Terrakotta rot leuchten und sein kleiner, rosiger Körper die typischen Speckröllchen und -falten eines satten, gesunden Säuglings aufweist. Seinen dunkelblonden Schopf umrankt ein goldener Strahlenkranz, der Blick ist gen Himmel gewandt: „Im Gesicht des Neugeborenen scheint bereits sein kommendes Schicksal, die Kreuzigung, auf“, erläutert Prof. Dr. August Heuser, Leiter des Frankfurter Dommuseums und des Diözesanmuseums in Limburg und Autor des just erschienenen Krippenführers.
Ein komplexes Kunstgebilde
Alles hat Sinn, alles trägt Bedeutung an dieser Krippe. Das pastorale Idyll, der Blick in die Puppenstube Gottes, wie es der flüchtige Betrachter mit Rührung wahrnimmt, trügt. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Krippe um ein komplexes Kunstgebilde voller theologischer und sozialer Verweise und Bezüge. So hatte sich die Stadt Neapel, in der vermutlich auch etliche der Frankfurter Figuren gefertigt wurden, im 18. Jahrhundert zum weltweiten Zentrum des Krippenbaus entwickelt. Die reichen Bürger der Stadt, Adlige und Patrizier, wetteiferten darum, das prächtigste Ensemble auf den flachen Vordächern ihrer Palais und Villen aus- und aufzustellen. Meist waren die Krippen so ausgerichtet, dass der Vesuv i m Hintergrund die Kulisse zur biblischen Szenerie bildete, so als habe sich die Geburt des Erlösers hier, inmitten von Neapel, ereignet. Außerdem trugen die Figuren Trachten, Kleider und Gewänder ihrer Zeit.
Aufwändige Restaurierung
Auch in der Krippe von Sankt Leonhard umringen Fürsten, Bürger und Bettelleute des Spätbarock den bethlehemitischen Stall, ausstaffiert mit Hüten und Hauben, Gehstöcken, brokatbestickten Kleidern, Schürzen, Lammfellwesten und Filzmänteln. Sozialgeschichtlich verraten die Figuren etwas darüber, wie sich die vornehmen und reichen Bürger der Stadt selbst gerne sahen und wie sie sich, aus der wohligen Sicherheit ihrer Paläste heraus, das Leben der armen Knech-te, Mägde und Hirten vorstellten. Alle Puppen sind aus mit Werg umwickeltem Draht gefertigt, Gliedmaßen und Gesichter wurden aus Terrakotta modelliert. Ihr Alter – mehr als 200 Jahre – merkt man ihnen nicht an, seit die Restauratorin Monika von Hasselbach sich ihrer angenommen hat. In mehreren hundert Stunden Arbeit hat sie Gewänder von Wachsflecken befreit, geflickt und mit Perlen bestickt, den Faltenwurf eines Engelskleides oder Königsmantels neu drapiert oder winzige Hände und Füße von Staub und Schmutz der Zeit gereinigt. Zurzeit befinden sich noch zehn Puppen in ihrer Hamburger Werkstatt; die Kosten für die aufwändige Restaurierung werden mit Spenden finanziert.
Heilige Patchwork-Familie
Wie diese kostbaren Figuren überhaupt nach Frankfurt gelangten, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren, unter anderem weil während des Zweiten Weltkriegs große Teil des Archivs von Sankt Leonhard verbrannt sind. Als gesichert gilt jedoch, dass der damalige Pfarrer Peter Richter 1943 für 1200 Reichsmark einen Stall, eine Vitrine und elf Krippenfiguren, die zum großen Teil aus den Meisterwerkstätten von Neapel stammten, erworben hat. Ob diese Anschaffung tatsächlich dank der großzügigen Unterstützung durch den Frankfurter Industriellen Adolf Schindling ermöglicht wurde, ist nicht gewiss. Dafür spricht allerdings, dass dessen Tochter, die Dressurreiterin Liselotte Linsenhoff, in ihr em Testament verfügt hatte, ihre eigene Krippe aus Familienbesitz nach ihrem Tod Sankt Leonhard zu vermachen. Und so wurden im Jahr 2000 ihre Figuren mit denen, die die Kirche bereits besaß, zur heiligen Patchwork-Familie vereinigt.
Barbara Goldberg

August Heuser: „Die Krippe von St.Leonhard, Frankfurt am Main“, erschienen im Kunstverlag Josef Fink. Der Band kostet 5 Euro und ist in St. Leonhard selbst, im Dommuseum, im Haus am Dom und im i-Punkt erhältlich.


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