Wann geht es endlich mal um mich?

Bundesverband Kinderhospiz macht zum Tag der Geschwister am 10. April auf Familien mit lebensverkürzend erkrankten Kindern aufmerksam

Lenzkirch/Berlin, 6. April 2018

Amelie ist 12 Jahre alt, ein selbstbewusstes Persönchen mit funkelnden dunklen Augen und wippendem Zopf. Sie lebt mit ihrer Familie in Heidelberg, geht dort zur Schule, liebt Eishockey und Übernachtungspartys mit ihren Freundinnen. An ihrer großen Schwester Sina hängt Amelie sehr. Sina ist aber auch der Grund, weshalb Amelies Leben anders ist als das von „normalen“ Zwölfjährigen.

Die 17-jährige Sina hat spinale Muskelatrophie. Sie sitzt im Rollstuhl und kann sich kaum noch selbst bewegen. Amelie weiß, dass diese Krankheit unheilbar ist und Sina irgendwann daran sterben wird. Doch traurig und verzweifelt sein kann man auch nicht immerzu. Amelie ist ein quirliges Mädchen, dem der Schalk im Nacken sitzt. Natürlich ärgert sie Sina auch gerne mal, wie das kleine Schwestern eben tun. Mit dem Rollstuhl, dem ganzen medizinischen Kram, der Pflegebedürftigkeit ihrer großen Schwester hat sie sich längst arrangiert. Auch damit, dass es oft um Sina geht, um Sinas Krankheit, die Zeit raubt, Dinge verkompliziert und manchmal auch unmöglich macht.

„Klar nervt es auch mal, wenn wir wieder in die Klinik müssen oder irgendwas mit Sina ist“, sagt Amelie ehrlich. „Aber meistens mache ich mir mehr Sorgen um sie als dass ich mich ärgere.“ Sie runzelt die Stirn. „Ich bin schließlich gesund.“

Gesund sein zu dürfen, zu wissen, dass es ein bloßer Zufall war, der das Geschwisterkind erkranken ließ und einen selbst verschonte – eine schwierige Erkenntnis für Kinder und Jugendliche. „Gesunde Geschwister haben oft mit einem schlechten Gewissen zu kämpfen“, weiß Sabine Kraft, Geschäftsführerin des Bundesverbands Kinderhospiz. „Sie schämen sich für ihre eigenen Bedürfnisse, weil die neben den elementaren Sorgen um den Bruder oder die Schwester so klein erscheinen“.  Dabei sind auch Hobbies und Freunde wichtig, Ballettaufführungen, Hockeyturniere oder Kinobesuche. Und auch Geschwister von kranken Kindern möchten Mama und Papa mal für sich ganz alleine haben.

„Eltern von lebensverkürzend erkrankten Kindern stehen vor einer besonderen Herausforderung, weil sie die Kinder gemessen an Zeit oft nicht gleich behandeln können, andererseits aber Aufmerksamkeit und Intensität gerecht verteilt sein wollen“, so Kraft. Oft hilft den Familien, neben Pflegedienstleistungen die Hilfe eines ambulanten Kinderhospizdienstes in Anspruch zu nehmen. Deren Mitarbeiter kümmern sich um die ganze Familie, machen also auch mal Hausaufgaben mit Geschwisterkindern oder kümmern sich um das erkrankte Kind, damit die Eltern Zeit für dessen Bruder oder Schwester haben. Auch gemeinsame Aufenthalte in stationären Kinderhospizen sind darauf ausgelegt, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder aufzufangen.

Amelie jedenfalls ist gelassen, wenn ihr Alltag mal wieder durcheinander geschüttelt wird. Sie nimmt das Leben mit ihrer großen Schwester wie es ist. Schließlich gibt es auch jede Menge toller Momente mit und wegen Sina: zum Beispiel den Jugendclub „Die Grüne Bande“, den die beiden Schwestern mit dem Bundesverband Kinderhospiz und dem Kooperationspartner „Aktion Kindertraum“ vergangenen Herbst ins Leben gerufen haben. Clubmitglieder können schwerkranke Jugendliche, ihre Geschwister und Freunde werden. Die Jugendlichen sind über das Internet vernetzt und tauschen sich zu Themen wie „Ausgrenzung von Behinderten“ aus.  Die jährliche Clubtagung bereiten Amelie und Sina derzeit vor – im August wird sich die Grüne Bande in Heidelberg treffen.  „Es ist wirklich cool zu merken, dass es überall in Deutschland Kinder wie uns gibt“, sagt Amelie und ihre Augen funkeln unternehmungslustig, „so schön unnormal!“

Zum Hintergrund:

Der Bundesverband Kinderhospiz macht sich als Dachorganisation der stationären und ambulanten Kinderhospize für die Belange der weit über 40 000 lebensverkürzend erkrankten Kinder in Deutschland stark. Er engagiert sich politisch für bessere Rahmenbedingungen für die Kinderhospizarbeit und setzt sich dafür ein, dass betroffene Familien aus dem sozialen Abseits geholt werden. Das 2016 eingerichtete „Oskar Sorgentelefon“ des BVKH ist unter der Nummer 0800 8888 4711 rund um die Uhr zu erreichen.

 

Bildtext: Amelie und Sina – ein starkes und unternehmungslustiges Geschwister-Team. Auch und gerade, weil ihr Leben etwas anders ist. Bild: BVKH/privat

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